Nach einer zweiwöchigen Aufwärmphase in China, wage ich den Sprung ins kalte Wasser - ich bin das erste Mal in Japan.
Ankunft Osaka: Japan ist fantastisch. Das hatte ich mir vor meiner Reise so gedacht und es wird am ersten Tag sofort bestätigt.
Zunächst besorge ich mir direkt vor Ort Bargeld und einen mobilen Internetzugang. Mein Weg vom Flughafen zum Hostel gibt mir bleibende erste Eindrücke. Alle Menschen, denen ich begegne sind freundlich und hilfsbereit, alle Dinge funktionieren, es ist sauber, die Metro fährt pünktlich. Der letzte Kilometer Fußweg von der Metrostation zum Hostel ist eine urbane Perlenkette aus kleinen Shops, Bars und Restaurants. Ich bleibe eine Nacht und begebe mich am folgenden Tag in die Anbaugebiete der Präfektur Kyoto.
Auf Empfehlung hatte ich mich bei Misako angekündigt. Sie wohnt im Wazukatal. Hier gibt es rund dreihundert Teebetriebe. Die meisten davon sind kleine Familienunternehmen mit Anbauflächen von wenigen Hektar.
Misako spricht Englisch und liebt und kultiviert Kombucha. Sie überlässt mir den Teeraum ihres traditionellen Hauses als Bleibe für die kommenden Tage.
Keine Stunde nach meiner Ankunft bekommen wir Besuch zum Tee von Frau und Herr Ueda.
Meine Recherchen sagen, dass ich Ende April / Anfang Mai die ersten Ernten des Jahres erwische. Allerdings haben mehrere Wochen kühleres Wetter dafür gesorgt, dass sich der Erntebeginn erheblich verzögert. Dies teilen mir die Uedas mit und ich stelle mich bereits darauf ein, erst kurz vor meiner Abreise Tee aus der diesjährigen Ernte in die Tasse zu bekommen. Die Uedas haben einen Sencha aus der letztjährigen Ernte zum probieren mitgebracht - vielversprechend!
Ich erkläre meine Agenda für den diesjährigen Teascouting-Trip in Japan: Es geht um Aracha.
Aracha ist ein grüner unsortierter Rohtee. Es gibt zwei Hauptfaktoren, die den Geschmack des Aracha grundsätzlich bestimmen.
Zum einen ist die Frage, welcher Tee am Ende gewünscht is, z.B. Aracha vom Tencha, Gyokuro oder Sencha, entscheidend.
Zum anderen hat die Teepflanze, von der geerntet wurde große Bedeutung. Der bekanntest Kultivar ist wohl Yabukita. Weitere Sorten sind Okumidori, Asahi, Uji Hikare, etc.
In den kommenden Tagen besuche ich verschieden Familienbetriebe, manchmal mehrere täglich. Alle sind überaus freundlich, fahren mich auf die Felder und zeigen mir die Betriebsstätten. Die Tees die wir verkosten sind hervorragend, jedoch durchweg aus der letztjährigen Ernte. Überall die gleiche Aussage: Erntebeginn zum Ende der ersten oder Beginn der zweiten Maiwoche. Mein Rückflug ist am 10. Mai. Ich erwäge zwischenzeitlich kurfristig in den Süden nach Kagoshima zu fliegen, um mit einem gezielten Besuch auf ein oder zwei Plantagen doch noch die ersehnte 2019er Ernte zu ergattern.
Dann der erlösende Anruf. Herr Ueda fährt am kommenden Nachmittag die erste Ernte ein. Ich bin eingeladen mitzukommen. Das Feld liegt steil am Hang und die Handhabung der elektrischen Schere mithilfe derer der Tee geerntet wird, ist eine Herausforderung. Zwei Personen führen die Schere gleichmäßig über die Teebüsche und eine dritte Person wechselt die Säcke, in denen der geerntete Tee aufgefangen wird.
Am Abend finde ich Herrn Ueda in der Fabrikhalle wieder. Er läuft beständig zwischen sechs bis acht Maschinen hin und her, um überall die korrekte Verarbeitung des Tees zu gewährleisten. Es ist eine "One Man Show"! Als ich eintreffe, ist er gerade dabei die Heizspirale des Dämpfgerätes auszubauen und zu säubern. Alles passiert im laufenden Betrieb - auch die Übergabe der Teeprobe. Sein Kommentar: "Ich bin bis circa 1.30 heute Nacht noch hier. Bis dahin brauche ich eine Aussage, ob du den Tee kaufen möchtest. Ansonsten geht die komplette Charge morgen früh um 6.00 Uhr auf die Teeauktion."
Nachdem ich die Passion und Energie von Herrn Ueda sowohl bei der Teeernte und Pflanzenpflege als auch bei der Verarbeitung des Tees in der Fabrik erleben durfte, verkoste ich den Tee unter den besten Vorzeichen. Wie erwartet ist das Erlebnis stimmig und rund. Für japanische Verhältnisse ist Herr Ueda vergleichsweise direkt und er legt augenscheinlich keinen übermäßigen Wert auf formale Höflichkeiten und vornehmliche Traditionen. Er baut seit zehn Jahren den biologischen Anbau aus und entfernt sich damit vom gängigen durchindustrialisierten Modell. Der Kauf dieses Aracha findet zur Geisterstunde um Mitternacht statt - inmitten der weiterhin laufenden Maschinen.
Mindestens zwei weitere wichtige Kontakte sind aus diesem Trip hervorgegangen. Es sind Familien, die biologisch angebauten Tencha/Matcha, Hojicha oder auch weißen Tee produzieren. Leider wurden ihre neuen Ernten erst nach meine Abreise eingefahren. Spannende Tees, die möglicherweise schon bald in unserer und deiner Tassse landen.
Auf dem Rückweg mach ich noch für eineinhalb Tage Stop in Kyoto. Ich hatte mir fest vorgenommen wenigstens eine Nacht in einem Capsule-Hostel zu verbringen. Das Hostel meiner Wahl heißt Comicap und beherbergt Regale prall gefüllt mit tausenden Comics - japanischer gehts nicht!
Am Vormittag spaziere ich am Flussbett entlang zu einem außerhalb liegenden eher unbekannten Tempel mit Zengarten. Nachmittags schlendere ich hier und da naschend (z.B. mit Wachtelei gefüllte Tintenfische) über den Nishiki Market. Abends treffe ich mich mit Tyas von 'The Tea Crane' auf eine ausgiebige Tee-Session. Er ist im Teehandel aktiv, gibt Führungen und Seminare rund um den Tee und ist generell ein äußerst angenehmer Zeitgenosse. Nach drei Stunden sind wir beide so high, dass nur noch ein Tea-Infused-Whisky helfen kann.
Am nächsten Morgen geht es in aller Frühe wieder zurück nach Deutschland. Während meines Airport-Hoppings (Osaka-Itami/Tokio-Haneda/Tokio-Narita/Amsterdam-Shiphol/Hamburg) habe ich mehr als genug Zeit nochmals meine diesjährige Teejagd in Fernost revue passieren zu lassen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass sich die Geduld gelohnt hat. Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt mit der typischen japanischen Höflichkeit und den Kontrasten zwischen Detailverliebtheit und Chaos (z.B. in den Wäldern außerhalb der Stadtgebiete).
Ich komme wieder!
Jürgen
Wir haben euch diese Tees von unserer Reise mitgebracht:
Aracha
Unsortierter grüner Tee aus Japan als Vorstufe zu einem Sencha - typisch mit geringem Stielanteil und kleinen "Teebomben".